Homeschooling - Volltext

 

Homeschooling

Frank Röhr

Homeschooling

 

Ein Ratgeber mit Ideen aus der Praxis

 

Böser Drache Verlag


Echt, ein Buch?

Nun ja, als ich anfing, diesen Text zu schreiben, sollte es ein Buch werden. Und in der Tat gibt es Bücher, die kürzer sind als dieses. Und nicht nur Bilderbücher. Dennoch ist es sicher an der ein oder anderen Stelle überzogen, von einem „Buch“ zu sprechen.

Ich habe den Terminus dennoch so gelassen, da ich durchaus denke, dass der Text einen gewissen Buchcharakter hat, auch wenn er für ein Buch ein wenig kurz ist. Andererseits liegt er deutlich über der Grenze für Kurzgeschichten, also bleibe ich dann mal dabei. Und ich veröffentliche ihn ja auch als epub, das ist ein E-Book. So.

Wozu das Ganze?

Ich schreibe diese Zeilen im Januar 2021. Gerade herrscht der zweite „härtere Lockdown“. Die Ministerpräsidenten der Länder haben zusammen mit der Bundeskanzlerin beschlossen, dass nun doch die Schulen geschlossen werden sollten, nachdem die Covid-19-Fälle doch langsam beängstigende Ausmaße angenommen haben. Zwar steht seit neuestem ein Impfstoff zur Verfügung, doch ist dieser noch lange nicht an die Bevölkerung verteilt.

Wenn dieses Buch irgendwann von einem Historiker oder einem historisch interessierten Menschen gefunden wird, mag ich noch ein paar Dinge hinzufügen, die alle, die das Buch gerade im Moment lesen, ohnehin wissen: Dies ist bereits der zweite Lockdown, bei dem die Schulen aufgrund der Pandemie geschlossen werden. Der erste begann im März 2020.

Zeit genug, um einige Dinge zu verbessern. An meiner Schule wurde seit dem ersten Lockdown ein ordentliches Netzwerkkabel verlegt. Bis in die Schule hinein. Das wurde dann, soweit ich weiß, auch angeschlossen. Natürlich verbessert das nicht das in manchen Räumen kaum nutzbare WLAN. Und das ist nur ein Beispiel von vielen. Digitale Endgeräte haben viele Schüler*innen immer noch nicht. Dennoch ist die Quote derer, die es irgendwie von zuhause aus „ins Netz“ schaffen, schon gewaltig.

Das Problem, wie man alle Schüler*innen an das Netz anschließt, kann ich hier nicht lösen. Ich mache aber später ein paar Vorschläge, wie man auch ohne Unsummen von Geld zu investieren an ein brauchbares System kommt.

Dieses Buch soll aber sonst ein Beitrag dazu sein, die Situation zu verbessern. Dort, wo es eine digitale Infrastruktur, auch eine mit all ihren Schwächen, gibt.

Dieses Buch soll nicht in erster Linie meinem monetären Gewinn dienen. Darum gebe ich diese Texte auch frei (Näheres siehe am Ende des Buches unter „Lizenz“). Einerseits wäre es auch ein wenig unverschämt, dafür viel Geld zu nehmen, da es ja eher kurz ist. Und ich möchte, dass das Buch so bald wie möglich gelesen wird und dass Leute davon profitieren. Und darum werden hier noch viele sprachliche Holprigkeiten drin sein. Holprigkeiten, die ein*e gute*r Lektor*in sicher gefunden hätte. Wofür ich keine Zeit mehr habe. Vielleicht gibt es später eine besser lektorierte Version. Aber ich möchte lieber, dass die Leserschaft über meine sprachlichen Unzulänglichkeiten lacht, und dafür vielleicht den ein oder anderen Tipp mitnimmt, als dass sie davon gar nichts erfährt – oder erst dann, wenn der Lockdown vorbei ist. Und ja, ich hoffe, dass das möglichst bald soweit ist, wobei ich derzeit gar nicht möchte, dass die Schulen bei höheren Inzidenzen wieder öffnen. Das klingt widersprüchlich, ist es aber gar nicht. Doch ich mag mich hier nicht mit der richtigen Covid-Strategie beschäftigen, das tue ich gerne an anderer Stelle.

Und natürlich bin ich nicht rein altruistisch oder gar ein Wohltäter. Ich will mit diesem Buch nach der Dandelion-Methode[Fußnote 1] bekannt werden. Danach kaufen alle Leute meine anderen Bücher und ich werde stinkreich. Ist doch klar.

Also: Man kopiere dieses Buch und gebe es weiter. Ich fordere explizit dazu auf.

Harhar.

 

Eine fassungslos machende Debatte

Einen Ton möchte ich noch zu einer Debatte sagen: Der Frage, ob man womöglich „das ganze Schuljahr“ wiederholen soll. Solche Artikel tauchen allen Ernstes auch in sonst guten Zeitungen wie der ZEIT auf. Ich bin ob dieses Vorschlages einigermaßen schockiert. Niemand, der auch nur ein wenig klar bei Verstand ist, sollte so denken. Es fehlen ein paar Wochen an Präsenzunterricht, und dieser wird durch Distanzunterricht ersetzt. Das ist kein 1:1-Ersatz, und es gibt Kinder, die keine digitale Ausstattung haben und mehr Schwierigkeiten – alles keine Frage. Aber dafür flächendeckend allen Schülern zuzumuten, statt 10 Jahren zur mittleren Reife oder statt 13 Jahren zum Abitur nun 11 oder 14 Jahre ihres Lebens damit zu füllen – das kann niemand ernst meinen. Offenbar herrscht hier eine völlig verklärte Weltsicht auf die Schule vor. Ich bin meinen Lehrer*innen in der Schule durchaus dankbar für das, was ich lernen durfte, und es war immens wichtig für mich und die Institution ist das auch. Würde ich das anders sehen, wäre ich nicht Lehrer geworden. Aber hätte man mich gefragt, ob ich heute aufstehen und dahingehen oder lieber zuhause bleiben will – ich hätte eine sehr, sehr eindeutige Anwort gegeben. Und Schüler*innen heute sind nicht anders. Denen erst die Freizeit zu klauen und dann auch noch ein Jahr mehr Schule zuzumuten – No way. Dann müssen Prüfungen eben angepasst werden. Niemand kommt an der Uni nicht mit, weil ihm ein paar Wochen Schulstoff fehlen.

Homeschooling ist zu schaffen, und diese Pandemie wird insofern vorübergehen, dass wir irgendwann alle wieder in Klassen sitzen können. Dafür das Schuljahr zu wiederholen ist ein mittlerer Witz.

 

 

Und wer schreibt das hier?

Mein Name ist Frank Röhr. Ich bin Jahrgang 1973, Diplom-Mathematiker und Lehrer an der Erich Kästner Schule in Bochum für Mathematik und Informatik. Nebenher bin ich noch Buchautor und Inhaber des Böser Drache Verlags. Ich schreibe phantastische Literatur, Krimis, Mathematikbücher und Ratgeber. Nicht ganz unpassend hierzu gibt es den Corona-Ratgeber von Jacqueline Stahl und mir[Fußnote 2].

Ich arbeite seit einigen Jahren (schon lange vor Corona) an digitalem Lernen und beschäftige mich seit längerer Zeit mit dem Lernmanagementsystem Moodle. Ferner bin ich einer der Administratoren der Moodle-Instanz unserer Schule.

Ich habe unter meinem Namen einen eigenen Youtube-Kanal, auf dem es auch einige Lernvideos gibt. Diese sind jetzt aber nicht der letzte Schrei, gerade technisch gesehen sind da viele unbeholfene Versuche bei. Immerhin haben einige der Videos eine fast sechsstellige Anzahl an Aufrufen, ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass das soweit kommt, als ich sie eingestellt habe.

Von 2000 bis 2003 hatte ich meine erste Begegnung mit dem Konzept „Lernen auf Distanz“, als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Informatik und Gesellschaft der Uni Freiburg. Hier entwickelte ich ein Multi-User-Dungeon für die Distanzlehre in der Rechtsinformatik im Rahmen des Projektes „Rechtsinformatik Online“. Den Ansatz habe ich danach aber nicht weiterverfolgt. Multi-User-Dungeons zwar durchaus (zu Unterhaltungszwecken kann man mich oft im Morgengrauen[Fußnote 3] antreffen), aber zur Lehre setze ich sie eher selten ein. Zumal, als ich den Ansatz um 2005 in einer Hausarbeit im Rahmen meines 2. Staatsexamens als Lehrer fortführen wollte, mir von meiner Fachleitung deutlich gemacht wurde, dass solche Ideen nicht für eine solche Arbeit taugten und man doch eher eine Arbeit über den Präsenzunterricht schreiben sollte. Nun denn. Irgendwie verwundert einen da nicht, dass Deutschland den Sprung ins digitale Lernen verschläft. Zumindest an der Schule – an den Universitäten gibt es durchaus vielversprechende Ansätze.

An den Schulen ist „Digitalisierung“ oft gleichbedeutend mit „Verteilen von Ipads an die Schüler“. Warum ich davon kein Fan bin, kommt ebenfalls später mehr.

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Ausstattung und digitale Plattformen

Mir fehlt derzeit die Möglichkeit und Zeit, mich in mehr Lernplattformen und Dateisysteme einzuarbeiten. Ich selbst bin in der glücklichen Lage, dass an meiner Schule Microsoft Teams und Moodle genutzt wird.

Microsoft Teams ist eine proprietäre Software, die Geld kostet. Die Schule hat dafür eine Schullizenz. Über Teams kann man Videokonferenzen abhalten (auch in Kleingruppen), es besteht aber auch die Möglichkeit, Dateien strukturiert abzulegen, Chat-Kanäle zu erstellen und Termine zu planen. Ich nutze Teams hauptsächlich für die Videokonferenzen.

Moodle ist eine freie Lernplattform, die in vielen Lernkontexten, von Schulen über Universitäten bis zu MOOC (Massive Open Online Course, Lehrveranstaltungen, die online stattfinden, für sehr viele Menschen) eingesetzt wird. Universitäten mit ihren Rechenzentren hosten ihre Moodle-Instanzen meist selbst, Schulen lassen diese meisten bei kommunalen Anbietern hosten. Für die Software selbst zahlt man keine Gebühren, das Hosting ist natürlich in der Regel nicht umsonst.

Ich beziehe mich im Folgenden manchmal auf diese Plattformen, da ich nur diese kenne. Ich versuche, die Möglichkeiten, die sich ergeben, damit abzubilden. Sicher können auch andere Plattformen diese Möglichkeiten bieten, nur kann ich dazu keine Auskunft geben. Ich mache hier aber keine Produktschulung – wie Teams und Moodle funktionieren, muss jeder selbst erarbeiten (über Moodle gibt es auf Youtube das ein oder andere Video von mir, aber natürlich viele, viele von Leuten, die sich damit deutlich besser auskennen als ich das tue).

Ich habe hier also keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ebenso ist dieses Buch nicht als Werbung für diese Plattformen zu verstehen (wobei ich von Moodle sehr begeistert bin, und es sehr schade finde, dass es oft als „PDF-Schleuder“ eingesetzt wird und die interaktiven Elemente kaum genutzt werden. Aber dies nur am Rande).

Vor allem möchte ich mit diesem Text Tipps geben und Möglichkeiten aufzeigen und Lehrerschaft, Schülerschaft und Eltern die „andere Seite“ darstellen.

Was ich nicht möchte: Für einen unfehlbaren Geist gehalten werden. Nicht alles, was hier drin steht, ist für jede Person nutzbar, nicht alles, was sinnvoll ist, steht hier drin. Sicher werden viele Leute mit dem Buch nichts anfangen können. Und andere werden Dinge komplett anders sehen, und vermutlich irre ich an vielen Stellen schlicht.

Das ist aber bei Ratgebern immer so. Ratgeber, die behaupten, die ultimative Lösung für ein Problem zu haben, würde ich skeptisch gegenübertreten.

Ich verspreche nur ungern Dinge, die ich nicht halten kann, und darum verspreche ich hier folglich gar nichts.

 

 


Präsenz- und Distanzunterricht im Vergleich

Was sind Homeschooling und Distanzunterricht?

Kommen wir als Nächstes zu Begriffen. Ich bin Mathematiker, da lege ich natürlich Wert auf gute Definitionen.

Wir fangen mal vorne an: Präsenzunterricht ist der Unterricht, bei dem eine Anzahl an Schüler*innen von einer Lehrkraft vor Ort und live unterrichtet wird. Also das, was man in der Regel aus der Schule kennt.

Eigentlich wird der Begriff Homeschooling falsch verwendet. Oder zumindest nicht so intendiert. Unter Homeschooling versteht man ursprünglich ganz normalen Präsenzunterricht, der von einem Hauslehrer gegeben wird. Wer, wie ich, damit groß geworden ist, erinnert sich an Heidi[Fußnote 4] in der großen Stadt, die zusammen mit Klara von einem Hauslehrer unterrichtet wird, oder an die Fünf Freunde[Fußnote 5], die in den Ferien bei einem (sich dann als Bösewicht herausstellendem) Hauslehrer Nachhilfeunterricht haben …

In den USA ist Homeschooling eine Methode, bei der die Eltern die Kinder zuhause behalten, ihnen so die „Schule ersparen“ und sie selbst unterrichten. Hier darüber zu reden wäre ein deutliches Abschweifen und steht nicht im Fokus dieses Buches, darum nur ganz kurz: Der Autor dieser Zeilen gehört nicht zu den Fans dieses Konzepts.

All das ist natürlich hier auch gar nicht gemeint. Gemeint ist der sogenannte Distanzunterricht, bei dem es eine Lehrkraft gibt, die selbst zuhause oder in der Schule sitzt und die Schüler*innen zuhause unterrichtet. Oftmals wird dieser Distanzunterricht allerdings zum klassischen Homeschooling, wenn die Eltern dann nicht nur mal einen Tipp geben, sondern sich als Ersatzlehrkräfte um ihr Kind bemühen.

Und genau darum soll es hier gehen: Natürlich haben Eltern genug andere Dinge zu tun, in der Regel schließlich selbst einen Beruf, den sie ausführen müssen, und auch das Saugen der Wohnung muss irgendwann geschehen, selbst, wenn jemand „nur“ Hausfrau*mann ist.

Sprich: Der Sinn und Zweck des Distanzunterrichts ist es nicht, dass die Eltern zu Lehrer*innen werden. Sinn und Zweck ist, dass die Inhalte, die sonst in der Schule erarbeitet werden, von den Schüler*innen selbst erarbeitet werden, und ja, durchaus mit Unterstützung der Lehrkräfte.

Von alldem zu abzugrenzen ist übrigens grundsätzlich digitaler Unterricht, der in verschiedenen Formen auftritt. In der Regel ist damit aber schlicht die Unterstützung des Unterrichts (in der Regel also des Präsenzunterrichts) durch digitale Geräte bzw. Medien gemeint. Das ist also erst einmal losgelöst von der Frage, ob man Präsenz- oder Distanzunterricht hat. So kann man, wie Jan Böhmermann vormacht, auch eine Distanzstunde halten, die eigentlich kein digitaler Unterricht ist, obwohl sie bei youtube steht[Fußnote 6].

 

Was ist Unterricht?

Genauer: Wie funktioniert Präsenzunterricht?

Blöde Frage! Das weiß doch jeder!

Oder?

Bei vielen Eltern, die selbst nicht im System Schule arbeiten, herrschen die Vorstellungen von Unterricht vor, wie sie in ihrer Kindheit waren. Da Eltern meist so ungefähr 20-40 Jahre älter sind als ihre Kinder, ist auch diese Vorstellung in etwa so veraltet.

Moderner Unterricht ist keine Berieselung. Man erinnert sich vielleicht noch an stundenlange Monologe einer vorne stehenden Lehrkraft. Die gibt es heute auch noch, oh ja, aber ganz sicher weniger als früher. Jedenfalls sollte Unterricht heute anders sein.

Das ist übrigens insgesamt auch genau die Sichtweise, die heute in der Lehrer*innenausbildung vorne liegt: Lehrkräfte sind keine Alleinunterhalter mehr. Natürlich gibt es bis heute diese Lehrkräfte, bei denen der Unterricht aus einer Art Vorlesung besteht: Man steht vorne, erklärt Dinge, und danach wird das Gelernte vielleicht noch in der Anwendung geübt. Eine weitere Variante ist natürlich auch ein Klassiker: Durch ein S-L-Gespräch (Schüler*innen-Lehrkräfte-Gespräch) wird der zu erlernende Stoff gemeinsam erarbeitet. Im Extremfall die ganze Stunde lang!

Beide Formen sind in der Lehrerausbildung und folglich auch in der Schule heute nicht mehr „State of the Art“. Guter Unterricht heutzutage wird durch einen möglichst hohen Eigenanteil an selbständigem Arbeiten der Schüler*innen definiert. „Phasenwechsel“ werden eingefordert, am besten hat man in einer Stunde möglichst mehrere Sozialformen. Damit meint man z.B. Einzelarbeit, Gruppenarbeit oder Partnerarbeit. Dies soll jetzt kein Buch über Didaktik in der Schule werden, aber wer mag, google gerne nach „Think – Pair – Share“, „Gruppenpuzzle“, „Lerntempoduett“ oder „Placemats“.

Natürlich ist die Lehrkraft nach wie vor da und natürlich werden immer noch viele Dinge im Plenum besprochen, aber die Idee einer „sehr guten Stunde“ in der Lehrerausbildung besteht darin, dass zu Beginn der Stunde eine Frage aufgeworfen wird, die dann im Laufe der Stunde von den Schüler*innen selbst gelöst wird. Dazu sollen dann nach Möglichkeit Lernformen eine Rolle spielen, in denen sowohl die Beurteilbarkeit des Einzelnen als auch die Teamfähigkeit der Schüler*innen gegeben sind. Die Arbeitsaufträge und Materialien, die dazu von der Lehrkraft ausgegeben werden, sollten im Idealfall jeden oder möglichst viele Schüler*innen dazu in die Lage versetzen, dieses Thema in der Stunde eigenständig zu bearbeiten und zu durchdringen.

Das klingt nach vielen Widersprüchen und Schwierigkeiten, und eine solche Stunde vorzubereiten und durchzuführen ist ein Idealzustand, an die die meisten Lehramtsanwärter*innen erst nach ihrem Refrendariat herankommen und so eine Stunde dann hoffentlich in ihrer Abschlussprüfung zeigen.

Natürlich kommt nicht jede Stunde an diesen Goldstandard heran. Mein erster Schulleiter (als Lehrer) sagte mal zu mir, „wenn mir der Konditor das Törtchen in Perfektion zeigt, glaub ich ihm auch, dass er das Schwarzbrot kann.“ Natürlich laufen viele Stunden auch mit weniger Vorbereitung ab. Und natürlich gibt es bis heute Schwellendidaktiker: Wenn man die Schwelle zum Klassenraum überschreitet, überlegt man sich, was man heute macht. Interessanterweise sind die dann entstehenden Stunden nicht immer die Schlechtesten. Aber das darf niemand hören, das habe ich bestimmt auch nicht geschrieben.

Dennoch ist das im Hinterkopf zu behalten: Wir Lehrkräfte versuchen, möglichst viel Schüleraktivität, vor allem auch möglichst viel Eigenaktivität im Unterricht zu halten. Und möglichst viel Stoff von Schüler*innen selbst erarbeiten zu lassen, evtl. auch in Gruppenarbeit.

Aber natürlich steht die Lehrkraft in diesem Prozess nicht außen vor. Sie ist immer ansprechbar. Und es ist das pädagogische Geschick und das Wissen über die Schüler*innen, was ermöglicht, die richtigen Tipps zum richtigen Zeitpunkt zu geben und auch zu schauen, wer wie viel Hilfe braucht. Übrigens: Ein guter Tipp kann oft auch nur eine Frage sein.

Wichtig ist ebenfalls zu erwähnen (das übersehe ich als Nicht-Sprachen und Nicht-Gesellschaftswissenschaftslehrer immer leicht), dass natürlich auch ein grosser Teil des Unterrichts per se in Kommunikation besteht. Über gesellschaftliche Fragen muss man diskutieren, und eine Fremdsprache lernt man nur, wenn man sie auch spricht. Es sei denn, man will den Schüler*innen in den gesellschaftlichen Fragen nur die eigene Meinung aufoktroyieren, aber das ist nicht der Sinn von Schule.

 

Unterricht knallt auf Distanzlernen

Und nun knallt diese Idee auf „Distanzlernen“. Im Frühjahr 2020, zu Beginn der Covid-19-Pandemie, fanden sich viele Lehrer*innen auf einmal in einer Position wieder, wo sie den üblichen Kommunikationsweg kaum oder gar nicht zur Verfügung hatten.

Die Lösung war dann einfach: Irgendwie kommt man ja an die Schüler*innen heran, vielleicht praktischerweise per Mail, im Zweifel per Telefon, zur Not per Brief.

Wir geben den Schüler*innen dann einfach nur das Material. Wir geben ihnen einen Text. Und dann ein paar Aufgaben dazu. Praktisch, die stehen schon im Buch. Buch, S. 36 Nr. 17. Die sollen eh mal lernen, selbständig zu arbeiten ...

Wie man leicht sieht, ist das nicht der Unterricht, den die Schüler*innen gewohnt sind. In keiner der beschriebenen Formen.

Egal, welche der erwähnten Unterrichtsformen die Schüler*innen gewohnt sind, den vortragenden Lehrer, die mit ihnen gemeinsam im Gespräch entwickelnde Lehrerin, eine Diskussion oder ein Austausch in einer Fremdsprache, oder die Idealstunde mit Einführung und eigenem Arbeitsanteil: Nichts davon ähnelt dieser Art von Unterricht.

Natürlich müssen Schüler*innen sich auch mal mit einem Text auseinandersetzen, aber dann ist immer eine Lehrkraft da, die den Prozess überwacht, Fragen beantwortet und weiterhilft. Und andere Schüler*innen sind da, bei denen man (je nach Sozialform des Unterrichts) auch nachfragen darf. Das ist also nicht dasselbe. Ferner ist sowas wie „Lies den Text und bearbeite die Fragen“ meist kein Thema für eine ganze Stunde. Das findet eher, um ehrlich zu sein, im Vertretungsunterricht Anwendung, wenn die Mathelehrerin den Deutschkurs des Kollegen unterrichten soll und der ihr Aufgaben gibt. „Lass die mal S. 123 lesen und die Nr. 1-3 lösen, so weit wie sie kommen.“ Und selbst dann ist da immer noch eine Lehrerin, die vielleicht nicht alles über das Fach weiß aber doch gesunden Menschenverstand hat und viele Schülerfragen dennoch beantworten kann – und die natürlich auch bemerkt, ob die Schüler*innen überhaupt zumindest den Anschein erwecken, als ob sie arbeiten. Und: Nach einer Stunde ist die Vertretungsstunde dann auch wieder vorbei. Der Lockdown dauerte im Frühjahr 2020 mehrere Wochen, der Aktuelle sieht gerade den Zahlen nach nicht danach aus, als sei er bald vorbei (wobei er genau dann vorbei sein wird, wenn die Bildungsministerin findet, dass Distanzunterricht ohnehin nicht taugt und die Kinder und Lehrkräfte alle wieder in die Schule zwingt, Pandemie hin oder her. Ich hoffe, dass ich in einigen Wochen schreiben kann, dass ich mit dieser Aussage falsch lag).

Das Einzige, was neben der Vertretungsstunde manchmal noch so abläuft, ist „Üben“. Nur wenige Lehrkräfte machen allerdings eine ganze „Übungsstunde“, in der wirklich nur mit einem Text bzw. Arbeitsblatt geübt wird. Zumindest eine Abschlussphase mit einem Vergleichen der Ergebnisse hat man fast immer dabei. Und meist werden Übungsphasen ganz einfach in den Unterricht integriert.

Mir wurden einige Fälle berichtet, über die ich nur mit dem Kopf schütteln konnte.

Da war die Mutter eines Grundschulkindes, das einfach einen Riesenhaufen Päckchenaufgaben zum Rechnen bekam. Das war irre viel und vor allem für das Kind völlig überflüssig, da das Kind die Rechenverfahren schon lange perfekt beherrschte. Nichts törnt einen aufstrebenden Geist so ab, wie das sinnlose Wiederholen von Dingen, die er schon längst verstanden hat. Damit meine ich ausdrücklich nicht, dass festigendes Üben sinnlos ist, im Gegenteil. Aber Lernen soll keine Beschäftigungstherapie sein. Wer Gitarre erlernen will, muss auch lernen, leere Seiten anzuschlagen. Auf Dauer sollte man aber dabei nicht stehenbleiben.

In einem Fall weigerten sich die Lehrkräfte sogar, mit den Eltern Kontakt aufzunehmen. Niemand hat das Recht auf die Privattelefonnummer der Lehrkraft, das ist völlig in Ordnung. Aber eine Dienstmailadresse, die zumindest einmal am Werktag gelesen wird, sollte für alle Lehrkräfte Standard sein. Und diese sollte auch für Eltern zur Verfügung stehen.

Der Effekt, der nun eintritt, ist der, den man am wenigsten haben will: Die Eltern versuchen nun, Lehrkraft zu spielen und dem Kind die Inhalte anhand des Materials selbst zu vermitteln. Das ist aber gar nicht so gedacht! Und natürlich ist das in mehrerlei Hinsicht fatal: Die Eltern, die natürlich andere Dinge zu tun haben, auch wenn sie zuhause sind, werden völlig überlastet. Die Kinder lernen die Inhalte schwieriger – es ist eine alte Weisheit, dass Eltern und Geschwister oft schlechte Lehrer*innen abgeben, da sie „zu nah dran“ am Kind sind und das Kind sie als Lehrperson nicht ernstnimmt – kein Wunder, denn die Mutter ist in erster Linie für das Kind die Mutter, nicht die Lehrerin. Das soll also gar kein Angriff auf die didaktischen Fähigkeiten der Eltern sein, obwohl natürlich zum Lehrberuf eine mehrjährige Ausbildung gehört, die die Eltern in der Regel nicht haben.

Es ist aber in der Regel gar nicht so irre produktiv, selbst, wenn die Sachverhalte gut erklärt werden – denn, wie gesagt, „guter Unterricht“ soll die Selbsterarbeitung durch die Schüler*innen ermöglichen. Sie sollen eben nicht alles fertig vorgekaut bekommen. Hierzu werde ich aber in späteren Kapiteln noch ein paar Sätze verlieren, wie man auch da weiterhelfen kann – denn, seien wir ehrlich: Das bleibt natürlich nicht immer aus.

Andere Lehrkräfte versuchten, das Beste aus der Situation zu machen. Die ersten Versuche, den Unterricht einfach 1:1 als Videokonferenz zu gestalten, ist schwierig, aber die Idee ist natürlich auf jeden Fall besser, als die Lernenden einfach nur mit Material zu überhäufen.

Im Folgenden sollen einige Ideen vorgestellt werden, von denen hoffentlich Lehrer*innen, Schüler*innen und auch Eltern profitieren können.

Ich kennzeichne bewusst nicht die Abschnitte, die eher für eine der Gruppen interessant sind. Ich denke, dass jeder aus jedem Teil etwas lernen kann und so eher die „andere Seite“ versteht. Ich selbst repräsentiere natürlich auch nur eine der Seiten, und das keinesfalls vollständig – das, was ich aus den anderen Blickwinkeln höre, erfahre ich von Schüler*innen und Eltern, sowohl aus meiner Schule wie auch aus meinem sonstigen Bekanntenkreis.

 

Unterricht und Fachwissen ist nicht alles

Die folgenden Kapitel beschäftigen sich recht intensiv mit dem Fachunterricht. Es ist sehr wichtig zu erwähnen, dass das nicht die einzige Funktion von Schule ist.

In der Schule wird soziales Miteinander gelebt, es bilden sich Strukturen, man trifft in jedem Fall auf Leute, mit denen man nicht immer gut klarkommt und man trifft Freund*innen. Die Beziehungen unter Schüler*innen, die in Schulen oder bei schulnahen Veranstaltungen begannen (und endeten) sind Legion.

Diese Aspekte sind irre wichtig und ich möchte hier keineswegs andeuten, dass dieser Aspekt der Schule komplett unter den Teppich gekehrt werden darf. Im Gegenteil. Ich werde hierzu auch noch einige Dinge sagen. Dennoch bleibt bei den meisten Eltern und Lehrer*innen der Gedanke, dass das Kind „vom Stoff her“ abgehängt wird, haften, und dem versuche ich vorzubeugen. Leider begrenzt sich die Debatte meist darauf (und darauf, welche Abschlüsse man bekommt). Der andere Aspekt sollte aber auch nicht zu kurz kommen.


Ideen zum Distanzlernen

Meine Ausgangsidee: Flipped Classroom

Ich gestehe: Ich habe von dieser Idee erst vor einigen Jahren gehört und seitdem lässt sie mich nicht mehr los. Ja, schon deutlich vor Corona – die Idee halte ich davon unabhängig für genial. Darum steht sie bei mir auch ganz vorne.

Hinter Flipped Classroom steckt die Idee, dass man sich die Inhalte nicht gemeinsam im Unterricht erarbeitet, sondern die Zeit im Unterricht für Fragen und Diskussion aufspart. Die Inhalte erarbeiten sich die Schüler*innen selbst, vorher, anhand von geeigneten Materialien.

Moment mal. Eben habe ich doch noch über die einfallslosen Lehrkräfte geschimpft, die einfach sagen „Lies im Buch S. 17“. Was meine ich denn nun?

 

Flipped Classroom an der Universität

Ich hole aus und beginne mit etwas, das gar nicht zu 100% zum Thema passt, mit der Lehre an Universitäten. Ein Beispiel für Flipped Classroom liefert z.B. Prof. Christian Spannagel aus Heidelberg:

Die Studierenden bekommen am Anfang einer Lerneinheit alle nötigen Materialien. Die klassische Vorlesung ist ein Video, das sie sich anschauen können. Sie bearbeiten die Aufgaben dazu und treffen sich dann in Tutorien, wo ältere Studierende ihnen helfen. Am Ende der Woche gibt es eine Plenumsveranstaltung, bei der der Professor dann anwesend ist und Fragen beantwortet. Mehr dazu findet man in seinen Videos[Fußnote 7]. Mittlerweile hat er das Konzept weiterentwickelt, er gibt nun auch mehr „Denkaufgaben“ in die Einzelerarbeitungsphasen hinein, nicht nur „vorgefertigte“ Vorlesungen.

Ich kann mich noch sehr gut an meine Mathematik-Vorlesungen erinnern, in denen ich irgendwann nur noch mitschreiben konnte, da ich den Stoff nicht im vollen Tempo nachvollziehen konnte. Dabei war die Vorlesung meist gar nicht schlecht, der Professor war oft nicht nur fachlich, sondern auch didaktisch gut[Fußnote 8]. Hätte ich da die Möglichkeit gehabt, die Lehrperson kurz anzuhalten oder gar zurückzuspulen, wäre das sehr erleichternd gewesen.

Kürzlich berichtete mir ein Bekannter, der in der IT-Abteilung einer Universität arbeitet, dass es Professor*innen gibt, die darauf bestehen, dass ihre Vorlesung nur zur „normalen Vorlesungszeit“ im Netz verfügbar ist. Wieso man Studierende, immerhin Erwachsene, so gängeln muss, ist mir ein absolutes Rätsel. Sämtliche Vorteile des Videolernens werden so leichtfertig zerstört.

Aber das nur am Rande, wir sind ja nicht an der Uni.

 

Wie kann man diese Ideen nutzen?

Flipped Classroom direkt von der Uni auf die Schule zu übertragen ist schwierig.

Eine Vorlesung an der Universität dauert in der Regel 90 Minuten. Eine Schulstunde dauert 45 Minuten, manchmal auch ein wenig mehr (an meiner Schule sind es 65 Minuten). Allerdings hält man in der Schule keinen Vortrag von der Länge einer Schulstunde (okay. Siehe oben: Das soll es geben. Aber lassen wir das).

Flipped Classroom von der Uni auf die Schule 1:1 zu übertragen ist sicherlich nicht zu leisten. Aber man kann natürlich die Ideen nutzen.

Die Idee ist, dass man dazu kleine Lerneinheiten baut, vor allem mit Möglichkeiten, die uns das Netz heute bietet. Kleine Videos, die einen Sachverhalt nahebringen. Vielleicht stellt man in einem Video auch nur eine Fragestellung und lässt die Schüler*innen dann darüber nachdenken.

Was heißt „klein“? Nun, Videos für Schüler*innen sollten kurz sein. Maximal 10 Minuten, als Richtwert[Fußnote 9]. Am besten nimmt man sich vor, nicht länger als 5 Minuten aufzunehmen, dann bleibt man meist unter den geforderten 10.

Dann kommt der nächste Punkt: Studierende sind in der Regel in der Lage, zu erkennen, ob sie das Gehörte oder Gelesene verinnerlicht haben. Immerhin haben sie schon ein Abitur und sich ja in der Regel auch aus Interesse für das Fach entschieden, sie wissen in der Regel, ob sie eine Information verstanden haben. Schüler*innen, die keinen Ton von dem, was man gerade durchnimmt, verstanden haben, behaupten zumindest oft, sie hätten das verstanden. Das kann eine Schutzbehauptung sein, aber ich glaube, dass ein nicht unerheblicher Teil der Schülerschaft erst beim Nachfragen realisiert, dass sie das doch noch nicht ganz geblickt haben.

Darum sollte es – idealerweise – eine Möglichkeit für die Schüler*innen geben, sich mit einigen kleinen Aufgaben, passend zum Gelernten, selbst zu beschäftigen und dazu auch ein Feedback zu bekommen. Wenn es möglich ist, kann man hier z.B. eine automatisierte Abfrage nutzen. Lernplattformen wie Moodle geben hier z.B. die Möglichkeit, einen kleinen Test einzufügen, wo man mit Antworten (Multiplechoice, Lückentext, Rechnungen ...) feststellen kann, ob die Schüler*innen den Inhalt auch verstanden haben. Wenn die Plattform die Möglichkeit bietet, kann man aufgrund der Ergebnisse auch verschiedene neue Materialien freischalten (im Moodle-Jargon nennt sich das „Lernpfade“). Es ist dann auch möglich, für Schüler*innen, die alles schon sehr gut verstanden haben, die folgende eigentlich geplante Festigungsübung wegzulassen und direkt zu interessanteren Themen zu kommen während man für schwächere vielleicht erst einmal noch kleinschrittigere Materialien anbietet.

Eine noch großartigere Möglichkeit bietet die Software H5P, die in diverse Plattformen, u.a. auch in Moodle, integriert werden kann. Hier kann man z.B. diese Kontrollfragen direkt in das Video einbauen und dann zu bestimmten Zeitmarkern springen. Das gerade akute Problem dabei ist, dass man sich da ein wenig einarbeiten muss und vor allem derzeit die Moodle-Plattformen oft überlastet sind. Und in Youtube ist diese Software meines Wissens nach bisher nicht integriert. Aber vielleicht gehen die Instanzen ja bald besser, wenn sich Ressourcenverbrauch und Kapazitäten ein wenig abstimmen, dann kann H5P wirklich eine echte Bereicherung werden.

Diese Videos muss man nicht immer selbst produzieren. Es gibt einen Dschungel von Lehrvideos da draußen. Wer sich als Mathematiklehrer durch die umfangreiche Sammlung der Videos von Lehrer Schmidt gewühlt hat, braucht kaum noch etwas selbst zu drehen.

Dieser Dschungel ist übrigens auch einer der Gründe, warum man als Lehrkraft eine Orientierung geben muss, welche Videos geeignet sind. In Mathematik und Informatik ist ein schlechtes Video in der Regel nicht sonderlich schädlich, nur nicht gerade lernförderlich und Zeitverschwendung. In Fragen der Weltanschauung oder eigentlich sämtlichen Gesellschaftswissenschaften ist aber eine gewisse Authentizität vonnöten. Nein. Intelligent Design und die wollen uns bei der Corona-Impfung Chips implantieren! stehen aus gutem Grund nicht im Lehrplan. Und genau da sollten Schüler*innen dann auch bei der Suche nach Lehrvideos eher nicht landen.

Selbstgedrehte Videos haben natürlich den Vorteil, dass die Schüler*innen die gewohnte Lehrperson vor Augen haben. Mehr dazu, wie man eigene Videos drehen kann und was man dafür braucht, folgt noch.

Nach dem Video sollen die Schüler*innen also eine solche Fragestellung lösen. Und danach kann man dann noch weitere Aufgaben geben, die bearbeitet werden sollen. Oder ein neues Video.

In einer Videokonferenz, die man z.B. nach der Einheit (oder als Teil der Einheit) hält, kann man dann die letzten Fragen beantworten und Schwierigkeiten besprechen. Möglich ist natürlich auch, den Schüler*innen in der Zeit der Bearbeitung eine Videokonferenz anzubieten, an der sie freiwillig teilnehmen können und sich nur einwählen, wenn sie Fragen haben – also eine Sprechstunde.

Wie man sieht, kann man mit einem solchen Flipped Classroom sicher gute Erfolge erzielen. Es ist Arbeit für die Lehrkraft, das sei nicht verholen, aber das Prinzip ist im Distanzunterricht und auch im Präsenzunterricht in vielen Lerneinheiten gut anwendbar.

Um konkrete Beispiele aus meinem Mathematik- und Informatikunterricht zu nennen: Eine 8. Klasse hat für den folgenden Tag die Aufgabe, ein 5-Minuten-Video anzuschauen, in dem ich die Aufgabe erkläre, dann sollen sie 40 Minuten lang mit einem Funktionsplotter versuchen, Funktionen zu konstruieren, die sich nicht schneiden. Ich rechne damit, dass einige dafür länger und andere nur kurz brauchen, darum gibt es noch zwei ergänzende Arbeitsaufträge, auch wenn mein Hauptpunkt beim Thema „Parallelität“ liegen wird. Danach folgen 20 Minuten Besprechung der Ergebnisse in einer Teams-Videokonferenz.

Ein Informatikkurs in der Q2 soll sich das Thema „Nichtdeterminismus“ am Beispiel endlicher Automaten erarbeiten. Sie bekommen dazu in einem kleinen Video von mir vorgeführt, was nichtdeterministische Automaten sind, dann sollen sie selbst welche mit bestimmten Eigenschaften konstruieren. Dazu sollen sie das Tool FLACI[Fußnote 10] nutzen. Am Ende der Zeit sollen sie einen kleinen Multiple-Choice-Test beantworten, der mir dazu dient, festzustellen, ob die Grundbegriffe sitzen. Dieser Test dient dabei weniger zur Notengebung – da ist eher interessant, wer den Test macht und wer nicht.

Die Einheiten sind so gebaut, dass ich denke, dass ein*e „durchschnittliche*r“ Schüler*in dafür in etwa die 65 Minuten der Stunde braucht (abzüglich z.B. die Zeit für das Video oder für die Videokonferenz). Ich erbitte regelmäßig Rückmeldungen von den Schüler*innen, ob die Zeit zu lang wird.

Was ich derzeit nicht liefern kann, ist eine wissenschaftliche Evaluation der Dinge, die ich hier vorschlage. Das wäre sicherlich vonnöten, dazu ist nur gerade keine Zeit da.

 

Umgang mit Lernvideos

Ob man Flipped Classroom macht, oder sonst Videos im Unterricht einsetzt: Eines der Probleme, die man hat, wenn man mit Videos lernen will, ist der Dunning-Kruger-Effekt. Das mag hart klingen, da dieser Effekt natürlich am ehesten mit Verschwörungstheoretikern assoziiert wird – wie Leuten, die nach dem Studium dreier „Beweisvideos“ glauben, dass es Covid-19 nicht gibt. Der Effekt ist aber weit verbreitet.

Der Dunning-Kruger-Effekt sagt aus, dass jemand, der sehr wenig Ahnung von einem Thema hat, dazu neigt, sich selbst zu überschätzen. Jemand, der mehr weiß, hat bereits erkannt, dass er viele Dinge noch nicht weiß.

Und Schüler wissen naturgemäß in der Regel um so weniger von einem Fachinhalt, umso schlechter sie in dem Fach sind.

Wenn also ein guter Schüler, der Themen schneller durchblickt und gewohnt ist, sich selbst Dinge anzueignen, ein Video sieht, und Dinge darin nicht versteht, wird er eher sagen: „Moment. Das verstehe ich nicht.“ Und dann Maßnahmen ergreifen. Die Einfachste und Naheliegendste ist, das Video anzuhalten, zurückzugehen und die letzten Teile noch einmal zu sehen. Oder das Video einfach anhalten und nachdenken. Vielleicht sogar, an sehr guten Tagen, einen Stift in die Hand nehmen und mal aufschreiben, was die Lehrkraft da gerade verkündet. Meist stellt sich so schnell die Erkenntnis ein, die die Lehrkraft wecken wollte, und das Video kann weitergehen.

Ein schlechter Schüler wird das Video einfach weitergucken. Entweder, weil er meint, er versteht es eh nicht – oder, weil er glaubt, dass er das versteht. Ein Dunning-Kruger-Effekt.

Ein Tipp, der dazu auf einer Fortbildung gegeben wurde, war, ein Video zu zeigen, in dem ein Papierflieger gefaltet wird. Sicher tut es auch sonst eine Bastelanleitung. Das ist viel zu schnell, um das 1:1 umzusetzen. Ist man in einer Präsenzsituation, kann man das Video einfach zeigen. Ist man schon im Homeschooling, kann man das ja einfach als Aufgabe geben und nachher nach Erfahrungen fragen. (Ich weiß den Namen des Dozenten leider nicht mehr. Falls sich jemand erinnert: Es war auf einer Moodle-Fortbildung im KRZN. In späteren Versionen schreibe ich die Person gerne dazu, wenn ich rausbekomme, wer das war. Der Tipp war jedenfalls genial und ich will mich da nicht mit fremden Federn schmücken.)

Meine letzte Idee zu diesem Thema hatte ich in einer Stunde des Experimentalfachs „DeMa“, Mathematik mit Sprachbildung: Ich habe eine Geschichte in einem Video voregelesen, parallel sollten die Schüler*innen dazu einen Test in Moodle lösen, der sich auf die Geschichte bezog. Dabei musste man nicht nur zuhören, sondern auch noch rechnen, und so musste man automatisch das Video mehrfach anschauen bzw. anhalten und zurückspulen. Die Rücklaufquote ist noch nicht perfekt (20 von 29), aber dies bessert sich, und es ergibt sich gleich auch ein Bild, womit die Schüler*innen die meisten Schwierigkeiten hatten.

 

Kontrolle

Auch sonstige Arbeitsmaterialien, wie Buchaufgaben oder Arbeitsblätter, sollten im Idealfall mit einer Kontrolle ausgestattet sein. Allerdings sollte diese Kontrolle entweder ohne größere Probleme von der Lehrkraft durchzuführen sein – oder auf alternativen Wegen überprüft werden. Es ist jedenfalls nicht zu leisten, dass man alle Aufgaben, die Schüler*innen im Laufe einer Woche erarbeiten, kontrolliert. Mal ein simples Rechenbeispiel: Ein Lehrer mit einem Hauptfach hat in der Regel 4 Stunden davon, in einem Nebenfach 1-2. Die Unterrichtsverpflichtung (regulär, 45-Minuten-Stunden) für Lehrer*innen an Gymnasien und Gesamtschulen beträgt 25,5 Stunden (an Haupt- und Realschulen 28). Hat ein Lehrer nun 4 Hauptfach- und 5 Nebenfachkurse, kommt das ungefähr hin. Dann hat er aber, wenn da keine Klassenüberschneidungen sind, 9 Lerngruppen, die bis zu 30 Schüler*innen haben können. Wie soll eine Person von 270 Personen die Lernleistungen jede Woche überprüfen? Das ist illusorisch.

So erlebt man es immer wieder, dass Schüler*innen mir als Lehrer am liebsten alle ihre Aufgaben per Mail zuschicken. Es ist komplett unmöglich, das zu kontrollieren, wenn man auch noch Unterricht vorbereitet, Videokonferenzen plant und durchführt und nicht zuletzt auch noch technische Hilfestellung bietet.

Dieser Wunsch der Schüler*innen ist natürlich absolut verständlich. Man will Feedback, man will, dass die Lehrkraft das sieht, was man geleistet hat. Man muss nicht erst den allgegenwärtigen Hattie[Fußnote 11] zitieren, um zu bemerken, dass sowohl Schüler*in-Lehrer*in-Interaktion als auch Feedback immens wichtig sind. Aber noch wichtiger ist die Selbsteinschätzung, die ganz oben in der Liste steht. Und diese sollte man trainieren.

Manche Aufgaben haben nun die Möglichkeit, dass es ein „Richtig“ und „Falsch“ gibt. In Mathematik kann man einfach eine Musterlösung zur Verfügung stellen, und die Schüler*innen können kontrollieren, ob ihre Ergebnisse stimmen.

Es ist keinesfalls ein neu auftretendes Problem des Distanzlernens, dass nicht alles besprochen wird, was Schüler*innen erarbeiten. Bei der Matheaufgabe kann man sich zumindest damit trösten, dass man das richtige Ergebnis hat, auch wenn die Lehrkraft das nicht immer wahrnehmen kann. Wenn aber z.B. als Aufgabe ein Aufsatz geschrieben werden soll, werden nicht alle 30 Aufsätze in der Klasse vorgelesen und besprochen. Man kann froh sein, wenn man anhand von 3 oder 4 Aufsätzen die wesentlichen Punkte im Unterricht besprechen kann.

Welche Möglichkeiten gibt es hier für Feedback und Kontrolle?

Man kann so z.B. die Aufgaben an die Schüler*innen ausgeben und dann einen Richtlinienkatalog an die Hand geben, nach dem die Schüler*innen ihre Arbeiten selbst durchschauen. Das kann jede*r Schüler*in erst einmal selbst tun. Man kann dann aber auch Gruppen definieren, in denen die Schüler*innen sich treffen und sich gegenseitig ihre Ergebnisse vorstellen und sie dann kritisieren sollen. Dazu kann man z.B. wieder Videokonferenzen mit kleinen Räumen nutzen.

Technisch gibt es erste Möglichkeiten, mit solchen Methoden zu arbeiten. In Moodle gibt es den Aktivitätstyp „Gegenseitige Beurteilung“. Ich gebe aber gerne zu, dass ich diesen bisher nur testweise eingesetzt habe. Dennoch kann es lohnen, sich den einmal anzuschauen.

 

Konstruktivistische Ansätze

Ein weiterer Ansatzpunkt der Kontrolle bietet sich an, wenn man die Dinge, die zu erarbeiten sind, aufteilt, und den Schüler*innen aufträgt, diese zu vernetzen.

Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten und sicher auch verschiedene Arten von Software, wie man zusammenarbeiten kann.

 

Wikis

Wikis gibt es als mögliche Aktivität in Lernplattformen (z.B. in Moodle), man kann natürlich auch auf einem Server ein eigenes Wiki installieren ohne Rahmen-Software. Die Integration in eine Schulplattform hat den Vorteil, dass man dann nicht wechseln muss.

Das bekannteste Wiki ist Wikipedia, die Online-Enzyklopädie[Fußnote 12]. Hier arbeiten seit Jahrzehnten viele Freiwillige mit, die neue Artikel anlegen und verlinken. Sie entspricht in meinen Augen im wesentlichen dem, was Tim Berners-Lee damals angetrieben haben muss, als er das WWW entwickelte: Die Möglichkeit, schnell von einer Stelle zu anderen zu springen, die Links, sind das, was das Web ausmacht, nicht der statische Inhalt.

In Wikipedia kann jeder mitarbeiten, und die Texte sind auf einem derart hohen Niveau, dass es zumindest für jüngere Schüler*innen schwierig ist, in der Community, die die Artikel schreibt, erweitert und pflegt, Fuß zu fassen. Allerdings kann man eben auch eigene Wikis für den Unterricht anlegen.

Dort kann man dann einzelne Seiten zu einem gemeinsamen Thema anlegen („Unser Tier-Wiki“, z.B. in Biologie) und die Schüler*innen Artikel zu einzelnen Fachgebieten bzw. Unterthemen anlegen und verlinken lassen. Das Verlinken geht meist mit eckigen Klammern (je nach Software mit einer oder zwei Klammern, also [[Hund]] oder [Hund], wenn man auf eine Hundeseite verlinken will). Dies ist schnell gelernt, und so kann man sich schnell auf die Inhalte konzentrieren.

 

Open-World-Spiele

Oh je, wenn ich damit komme, werden mich viele Kolleg*innen kopfschüttelnd in die Spinner-Ecke stellen. Ich fange an dieser Stelle auch nicht an, nur ein reines Loblied auf Computerspiele anzustimmen, auch wenn ich überzeugt bin, dass man bei vielen dieser Spiele lernen kann.

Open-World-Spiele sind Spiele, bei denen man im weitesten Sinne die Spielwelt selbst erkunden kann, ohne einem fest vorgegebenen Handlungsverlauf folgen zu müssen. Das wohl bekannteste dieser Spiele ist Minecraft, bei dem es mit dem sogenannten „Redstone“ sogar noch die Möglichkeit gibt, komplexe Schaltungen zu entwickeln. Aber auch schlichtweg die Möglichkeit, eigene Häuser und Fantasiebauten im Spiel zu bauen, kann zu Lernerfolgen führen. „Wir bauen eine eigene Mittelaltersiedlung in Minecraft“ kann ein hochinteressantes Projekt sein (und gut, dass ich kein Geschichtslehrer bin und gerade nicht erklären muss, wie so ein Projekt genau aussieht).

Ich werde das an dieser Stelle nicht weiter ausführen. Ich bin aber der Meinung, dass man diese Ideen nicht als völlig abwegig abtun sollte – man kann so für die Schüler*innen eine motivierende Lernumgebung schaffen.

Ich mag nur ein Beispiel nennen: Ein Schüler nutzte die kompletten Weihnachtsferien, um die Schaltung eines Taschenrechners in Minecraft zu bauen, der Zahlen addieren und Ergebnisse anzeigen konnte. So eine Hingabe findet man für Unterrichtsthemen sonst eher selten, und sicherlich gehören solche Schüler*innen zu einem besonderen Menschenschlag, der eines Tages die Welt retten wird. Dennoch wollte ich das nicht unerwähnt lassen.

Von Minecraft gibt es eine Education Edition, die Schulen wohl kostenlos nutzen können, mit Details habe ich mich aber nicht beschäftigt.

 

Interaktive Lerneinheiten ohne Lernplattform

Hat man keine Lernplattform zur Verfügung, bei der man selbst Inhalte erstellen kann, so hat man in der Regel zumindest ein Verzeichnis, wo man Dokumente austauschen kann, oder die Möglichkeit, die Schüler*innen per Mail zu erreichen.

Hier kann man z.B. Lernpakete schnüren, indem man sich einen HTML-Editor besorgt (dazu gibt es auch hervorragende WYSIWYG-Editoren, die zum Teil auch gar nicht installiert werden müssen, und wofür man selbst keine HTML-Kenntnisse brauch, wie KompoZer, den es auch kostenlos gibt), und damit Webseiten erstellt, die dann verlinkt werden. Die gesammelten Seiten packt man dann zusammen (z.B. als Zip-Datei) und verschickt diese an die Schüler. Die Schüler packen die Seiten dann aus und klicken sich durch die Inhalte. Hier kann man z.B. Links mit verschiedenen, auch falschen, möglichen Schülerantworten erstellen und diese dann je nach Antwort auf „richtig“- oder „falsch“-Seiten schicken. Hat man einen Server zur Verfügung, wo man Dateien hinterlegen kann, funktioniert vielleicht sogar das direkte Hinterlegen der HTML-Dateien in ein Verzeichnis (je nach System, ausprobieren!)

Im ersten Moment klingt das nach einer technischen Herausforderung, der man sich sicher nicht direkt gewachsen fühlt. Aber so schwierig ist das Ganze nicht, wenn man den Willen hat, es einfach mal zu versuchen.

Ein simples Beispiel: Man möchte behandeln, dass Hannibal die Alpen mit Elefanten überquert hat. Man benennt drei Dateien Hannibal.html, Elefanten.html und Nilpferde.html. In die Hannibal-Datei schreibt man einen Text über Hannibal und erwähnt darin, dass er mit Elefanten über die Alpen gezogen ist. Dann fragt man unter dem Text, womit er über die Alpen gezogen ist und schreibt darunter „Nilpferde“ und „Elefanten“. Die Antworten verlinkt man mit der entsprechenden Datei. In die Datei Elefanten.html schreibt man nun rein, dass der Schüler alles richtig gemacht hat, in die Nilpferde-Datei, dass er den Text doch besser noch einmal lesen sollte, und setzt einen Link auf die Hannibal-Datei.

Nun wird ein sehr unaufmerksamer Schüler vielleicht erst auf „Nilpferde“ klicken, obwohl ja „Elefanten“ die richtige Lösung ist, und bekommt dann die Rückmeldung, dass er das Ganze noch nicht richtig verstanden hat. Natürlich ist es einfach, alles auszuprobieren, aber so wird zumindest ein gewisser Grad an Interaktivität erreicht.

 

Einige Worte zu eigenen Lernvideos

Natürlich sind wir als Lehrkräfte keine Schauspieler und wir haben auch kein Aufnahmestudio. Das ist zum Glück auch gar nicht notwendig.

 

Herstellung von Videos

Eigene Videos lassen sich in der Regel einfach mit „Bordmitteln“ drehen, die man ohnehin für die Videokonferenzen braucht. Die Laptop-Kamera reicht, um die Lehrkraft deutlich erkennbar zu machen, das Headset liefert eine bescheidene, aber verständliche Tonqualität und mit Power Point oder Libre Office Impress oder einem anderen Präsentationsprogramm (vielleicht auch einer virtuellen Tafel) kann man schnell eigene Sachverhalte darstellen.

Ich nutze zur Aufnahme die freie Software OBS (Open Broadcast Software), die auch zum Streamen auf üblichen Plattformen geeignet ist. Man braucht am Anfang ein wenig Zeit, um in das Programm reinzukommen, ich habe allerdings nie eine Anleitung gebraucht, die meisten Sachen findet man selbsterklärend. Zum Schneiden nutze ich als Linux-Benutzer die freie Software Kdenlive, die auch unter Windows verfügbar ist. Ich habe aber nicht viele Programme verglichen, diese erfüllt bei mir ihren Zweck.

Will man „bessere“ Videos produzieren, die qualitativ bessere Bilder liefern, sollte man über die Anschaffung einer besseren Kamera und eines Standmikrofons nachdenken. Ich habe eine Webcam und ein Mikrofon, die beide um die 50 Euro gekostet haben und bin damit hochzufrieden[Fußnote 13]. Neulich hat ein Scheinwerferset (80 Euro) das Ganze abgerundet. Notwendig, um Sachverhalte gut darzustellen, ist das aber alles nicht. Mit Licht habe ich gerade erst angefangen, mich selbst zu beschäftigen, da muss ich auf einschlägige Seiten verweisen. Da ich da viel zu unbedarft bin, darf jeder selbst googeln.

Was übrigens überhaupt nicht schlimm für die Schüler*innen ist, jeden ernsthaften Filmfreund aber wahnsinnig machen wird, ist die Tatsache, dass man manchmal eine Szene einfach schneidet. Man schaue sich mal Youtube-Videos von Profis an, die davon leben, dass sie auf Youtube aktiv sind und damit Geld verdienen: Da sind ständig Schnitte, oft nehmen die klassischen Youtuber nur wenige Sekunden auf und schneiden das zusammen. Die Schüler*innen sind das also zum Großteil gewohnt. Wer also meint, weil er nach 6 Minuten das falsche Bild gezeigt hat, er müsse das ganze Video nochmal neu drehen, irrt.

 

Videos zur Verfügung stellen

Die Videos - sofern es die eigenen sind – kann man in die schulische Lernplattform integrieren, so sie die Kapazitäten hat. Derzeit ist es so, dass viele Plattformen überlastet sind. Gerade, wenn dieselbe Plattform auch noch Videokonferenzen abhalten soll, geht sie gerne in die Knie.

Ein lebenspraktischer Tipp von mir ist darum auch derzeit: Man lade die Videos bei Youtube hoch (man kann sie auf „Nicht gelistet“ stellen, dann kann man sie nur finden, wenn man den Link kennt). Dann setze man in die Lernplattform der Wahl den Link zum Video ein. In Moodle kann man das in ein Textfeld oder eine Textseite packen, das ist für die Schüler*innen dann kaum ein Unterschied zu einem Video, das direkt in die Lernplattform-Seite integriert wurde. Youtube hat derzeit noch genug Kapazitäten.

Natürlich überträgt man bei der Nutzung von Youtube Daten, das sollte man nicht aus den Augen verlieren, und natürlich sollte eine Schule nicht dazu aufrufen, Daten freiwillig abzugeben. Hier kann man aber z.B. auch gerne Thematiken wie die Nutzung eines anonymisierten Browsers über das Tor-Netzwerk behandeln. Aber seien wir ehrlich: Es gibt sicher kaum Schüler*nnen, die gar keine Videos im Netz schauen, wenn sie das dafür notwendige Gerät haben. Und ohne das fällt Homeschooling in dieser Pandemie eher schwer.

 

Videokonferenzen

Bei Videokonferenzen gibt es einige Punkte zu beachten, die das Leben auf beiden Seiten erheblich erleichtern können.

 

Das richtige Tool

Ich habe mich in den letzten Monaten auf einigen Plattformen in Videokonferenzen ausgetobt: Teams, Jitsi, Zoom, Discord, um nur einige zu nennen. Alle haben an sich problemlos funktioniert, wenn man davon absieht, dass „Jitsi manchmal überlastet“ ist. Das liegt aber nicht an Jitsi, sondern daran, wie viel Serverkapazität der Provider da zur Verfügung stellt, ist also gar kein Software-Problem.

Welche Software man da verwendet, ist also jedem Entscheidungsträger selbst überlassen. Wenn man möglichst frei und unreguliert unterwegs sein will, sollte man zu Open Source-Lösungen wie Jitsi oder BigBlueButton greifen, ist einem das eher egal, kann man auch andere Software verwenden. Wichtig ist, dass man eine ordentliche Netzanbindung hat und der Provider ordentliche Serverleistung liefert.

 

Aufmerksamkeit einfordern

Einer der Punkte, den man sicherlich aus der Praxis der ersten Monate mitnehmen kann, ist dieser: Viele Schüler*innen sind während der Videokonferenzen zwar in der Besprechung eingeloggt und anwesend, aber doch abgelenkt.

So kann eine nicht völlig ungeschickte Schülerin locker nebenbei mit ihrer Freundin WhatsApp-Nachrichten austauschen, während ihr Klassenkamerad zockend vor der Kamera sitzt. Wir kriegen davon als Lehrkräfte nur dann etwas mit, wenn die Schüler*innen sich blöd dabei anstellen. Sind die Kameras noch dazu aus, ist es quasi unmöglich, das mitzukriegen.

Man sollte also, wie im klassischen Unterricht, immer wieder Testfragen einstreuen, auch, wenn man gerade nur Abläufe des Distanzunterrichtes erklärt und dazu auch zufällig ausgewählte Personen drannehmen. Ich nutze dazu immer Rollenspielwürfel wie W20 oder W30, aber es gibt auch Webseiten, die einen solchen Wurf simulieren. Sehr oft überrascht man Personen, die auf einmal antworten müssen, die gar nicht damit rechnen.

Wichtig ist das auch, wenn man organisatorische Dinge bespricht: Viele Schüler*innen halten diese nicht für wichtig und hören nicht zu. Lässt man diese Verabredungen durch Schüler*innen wiederholen, unterstreicht man deren Wichtigkeit.

Das gilt auch insbesondere für neue Methoden, wenn die Schüler*innen diese nicht gewohnt sind: Sind sie es gewohnt, einfach passend zur Videokonferenz reinzukommen und die Aufgaben, die man stellt, „irgendwann“ zu erledigen, so haben sie sie vielleicht zur Videokonferenz nicht parat. Das muss im Vorfeld genau abgesprochen werden. Dass man sich ärgert, wenn das nicht passiert, ist sonst vorprogrammiert.

 

 


Die Situation zuhause

Organisation des Distanzunterrichts

Der Distanzunterricht sollte im Idealfall in etwa dem Präsenzunterricht entsprechen. Auch die Organisation sollte das abbilden.

Lehrer*innen sollten ihren Unterricht so planen, dass die Lerneinheiten in den Stunden (plus eventuell Hausaufgaben, sofern es die noch gibt) erledigt werden können. Rückmeldungen von Schüler*innen, die das Volumen (in welcher Richtung auch immer) kritisieren, sind ernstzunehmen und sollten auch die eigenen Handlungen überdenken. Ich erinnere mich sehr gut an die Vorstellungen, die ich zu Beginn des Referendariats hatte, was ich in einer Stunde schaffen kann, und wie die Realität mich da eingeholt hat. In dieselbe Falle tappen auch Lehrkräfte wieder schnell beim Online-Lernen.

Im Distanzunterricht ist das Volumen dessen, was SchülerInnen schaffen, anders. Pauschal zu sagen: „Das ist weniger“ ist sicher irreführend – es wird immer Schüler*innen geben, die von dem „eigenen Tempo“ und der fehlenden Ablenkung durch die Klasse profitieren, und es gibt natürlich, gerade im Moment, viele, die darunter leiden und weniger leisten können.

Auch Videokonferenzen sollten in die Schulstunden gelegt werden. Das vermittelt den Schüler*innen einen Eindruck von Normalität. Ganz sicher kein falscher Ansatz.

Sprich: Es ist an sich genau richtig, dem üblichen Tagesablauf zu folgen. Wenn in der 3. Stunde Englisch ist, sollte man auch in der 3. Stunde die Englisch-Aufgaben bearbeiten, wenn nicht ohnehin eine Englisch-Videokonferenz ansteht. Und früh morgens zur 1. Stunde aufzustehen hat noch niemandem geschadet!

Oder?

 

Wann soll ich aufstehen, wenn ich keine Pflichttermine habe?

Hier gibt es tatsächlich mehrere Anhaltspunkte, die berücksichtigt werden sollten:

  • Die moderne Schlafforschung hat festgestellt, dass es verschiedene Chronotypen gibt (mehr findet man z.B. bei Wikipedia, dort sind auch Quellen verlinkt[Fußnote 14]). So gibt es „Lerchen“; die früh aufstehen können und wollen sowie „Eulen“, für die es besser ist, später aufzustehen. Hier sei noch dazu auf einen Artikel auf Telepolis verwiesen, der aussagt, dass in der Pubertät die Grenze des „idealen Aufstehzeitpunkts“ nach hinten verschoben wird[Fußnote 15].
  • Als Gegenargument: Viele Schüler*innen, gerade jüngere Schüler*innen, sind auf einen klaren Plan und auf die klaren Strukturen des Stundenplans angewiesen.
  • Viele Schulen setzen andererseits auf Konzepte wie „Dalton“[Fußnote 16]; wo den Schüler*innen mehr Freiraum bei der Wahl des Faches, das sie gerade bearbeiten wollen, zugestanden wird. Und viele Schüler*innen kommen auch mit einem selbstgestrickten Plan zurecht und sind dennoch in der Lage, dem zu folgen.
  • Spätestens im Studium sind (zugegeben, je nach Studiengang) die Lerneinheiten eigentlich, bis auf Präsenztermine, in der Regel in die Eigenverantwortung der Lernenden gelegt. Kann die Schule hier schon einen Beitrag leisten, um die jungen Erwachsenen darauf vorzubereiten?

Diese Diskrepanz müsste eigentlich auch im Rahmen des Präsenzunterrichtes schon lange berücksichtigt werden, nur setzen sich hier immer die „Lerchen“, also die Frühaufsteher durch und erzählen Dinge von „Disziplin“ und „Hat uns auch nicht geschadet!“ (Sicher?)

Auch, wenn die Eltern ihre Kinder sicher am besten kennen, haben die Kinder evtl. einen anderen Rhythmus als die Eltern, der sich auch, gerade im Laufe der Pubertät, weiterentwickelt. Im Präsenzunterricht hat man keine Wahl: Wenn um 7:30 Uhr Schulbeginn ist, muss das Kind in der Schule sein. Nun hat man aber die Wahl: Wenn zur ersten Stunde keine Videokonferenz ansteht – muss das Kind dann dennoch am Rechner sitzen und loslegen?

Sprich: Eine weniger deutlich am normalen Tagesablauf orientierte Struktur kann auch Vorteile bieten, gerade für „Eulen“; die sonst zu kurz kommen. Das Problem: Wenn man das zu deutlich in den Vordergrund stellt, können Schüler*innen das leicht als Vorwand nehmen, gar nicht mehr zu arbeiten („Ich bin eine Eule, ich mach das später“). So wird der Prokrastination weiter Vorschub geleistet. Und Prokrastination heißt bei Schüler*innen in der Regel, dass die Sachen nicht etwa noch in letzter Minute fertiggestellt werden, sondern unter den Tisch fallen.

Die Frage ist also, wie man am besten klarkommt.

Schlecht ist es sicher, wenn jeden Tag ein völlig anderer Aufstehzeitpunkt ansteht. Dann sollte man einen Zeitpunkt wählen, der vielleicht später als sonst, aber dennoch vor Beginn der ersten Einheit liegt, damit der Rhythmus nicht ganz aus den Fugen gerät.

Wenn man sich entscheidet, den eigenen Stundenplan oder den des Kindes umzuändern, sollte man sich darüber im Klaren sein, dass jede Stunde nur verlegt werden sollte, nicht „ausfallen“. Es ist also sicher möglich, eine Stunde, in der kein direkter Abgabetermin für eine Aufgabe und keine Videokonferenz das erfordert, von der ersten in die „Stunde nach dem Unterricht“ zu verlegen. Davon abgesehen sollte man den Plan aber einhalten. Noch besser ist, die Stunde am Vortag vorzuarbeiten, dann braucht man sich um ein evtl. „schlechtes Gewissen“ keine Sorgen mehr zu machen. Man kann schlecht prokrastinieren, was man schon erledigt hat.

Davon abgesehen: Jüngere Schüler*innen sollten, auch wenn keine Videokonferenzen anstehen, ihren Stundenplan einhalten. Das klingt vielleicht ein wenig altbacken und konservativ, aber der Plan strukturiert den Tag. So kann man auch leichter gegenüber der Lehrkraft argumentieren: „Ich habe die 45 Minuten Englisch gemacht - dann war leider Chemie dran!“ Und natürlich ist irgendwann auch Schulschluss.

Eine Sache sollte aber klar sein: Man sollte nicht um 8:40 aufstehen und um 8:45 Uhr im Schlafanzug am Rechner sitzen. Auch, wenn keine Videokonferenz ansteht, hilft ein Morgenritual dabei, die eigene Normalität aufrecht zu erhalten. Es sind keine Ferien, es ist Unterricht. Wer im Präsenzunterricht morgens vor der Schule frühstückt, sollte auch jetzt frühstücken, wer morgens erst einmal unter der Dusche verschwindet, hat keinen Grund, das jetzt nicht zu tun, nur weil man ihn gerade nicht riechen muss.

Selbst die Schulglocke kann man problemlos mit entsprechenden Tools nachbilden, wenn sie auch nicht genauso klingt, aber so kann man sie doch zur Einteilung nutzen. Jedes Betriebssystem bietet die Möglichkeit, Alarme bzw. Weckzeiten einzurichten, einfache Apps dafür findet man auch.

Ferner ist diese Disziplin auch noch in einer anderen Hinsicht wichtig: Man schafft mehr, wenn man die Sachen nicht an sich vorbeilaufen lässt, sondern eine klare Struktur am Tag hat. Nicht nur in der Schule.

Ich bringe nur ein Beispiel von mir selbst: Wenn ich einen Roman schreibe, schaffe ich in der Regel um die 2000 Wörter an einem normalen Werktag. Ich nehme mir diese Zeit zwischendurch. Wenn nun Wochenende ist und ich nicht viel zu tun habe, müsste ich eigentlich locker das Doppelte schaffen, oder? Faktisch bin ich meist froh, wenn ich dann auch die 2000 Wörter am Tag hinter mich bringe. Weil der Tag weniger Struktur hat. Die Struktur zwingt mich dazu, Zeitfenster zu nutzen.

 

Was mache ich in der Schulstunde?

Der Idealfall ist klar: Meine Lehrkraft hat mir genau passend für die 45-Minuten-Stunde eine Aufgabe gegeben, die ich 45 Minuten lang bearbeite. Oder: Ich soll 10 Minuten ein Video gucken, dann 30 Minuten arbeiten, dann 5 Minuten die Ergebnisse hochladen. Fertig. Oder: Wir haben die ganze Stunde Videokonferenz.

Dann stellt sich die Frage nicht, was zu tun ist. Nur: Das wird selten genau so klappen.

Manchmal ist man mit dem Stoff nach 45 Minuten einfach noch nicht fertig. Nun gibt es zwei Möglichkeiten:

Die Lehrkraft hat gesagt, dass ich nach 45 Minuten aufhören soll.


Dann tue ich das. Auch, wenn noch Aufgaben übrig sind. Auch, wenn ich noch was machen könnte. Wenn ich meine, das Thema ist wichtig, wenn ich meine, ich brauch da noch was, wenn ich meine, ich habs noch nicht richtig verstanden, dann melde ich das der Lehrkraft. Dazu muss ich der jetzt nicht unbedingt eine Email schreiben – Lehrkräfte kriegen im Moment wahrlich genug davon – ich kann auch einfach warten, bis zur nächsten Videokonferenz. Oder ich schreibe das mit einer Frage vielleicht in ein Forum, wenn es sowas zu meinem Unterricht gibt.
Was ich nicht tun sollte: Ich sollte keinesfalls so tun, als habe ich alles in 45 Minuten geschafft und einfach weiterarbeiten.

Dann komme ich in die Bedroullie, dass ich mehr Fächer abarbeiten muss, aber die Zeit dafür nicht da ist, und die Lehrkraft merkt nicht, dass sie viel zu viel aufgegeben hat. Stichwort: Auch die Lehrer*innen lernen gerade. Das gilt ohnehin immer – gute Lehrkräfte sind die, die immer weiterlernen – aber gerade ganz besonders.

Du stehst auf Dauer nicht besser da, wenn du die Lehrkräfte über das, was du schaffst, belügst. Und genau das tust du, wenn du so tust, als schaffst du das in derselben Zeit.

 

Die Lehrkraft hat gesagt, das muss fertig werden. Oder sie hat dazu gar nichts gesagt.

Hier ist eine ehrliche Antwort vonnöten: Warum bin ich nicht fertiggeworden? War Netflix doch interessanter? Geht das Lernen, wenn ich gleichzeitig mit meiner Freundin WhatsAppe, doch nicht so entspannt? Dann sollte ich in der Tat die Zeit noch reinstecken. Ebenso, wenn ich bei Aufgabe 8 von 9 bin und die alle gleich lang sind.

Ist das aber wirklich viel zu viel, dann melde ich das der Lehrkraft. Ich traue mich, mich hinzustellen, und zu sagen: „Ich habe die Aufgaben 1,2,3 und 4 geschafft, aber Aufgabe 5,6,7 gingen in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht.“

Wichtig ist: Ich melde nicht meine*r*m Klassenlehrer*in, dass wir „insgesamt zu viel“ haben. Damit kann man nichts anfangen.

Wenn die Kunst-Aufgabe bei Frau Schröder zu lang war, dann melde dich zunächst bei Frau Schröder[Fußnote 17].

Oft wird sich Frau Schröder bei dir bedanken, dich beruhigen und beim nächsten Mal vielleicht ein wenig vorsichtiger sein.

Wenn Frau Schröder nicht einsichtig ist, dann solltest du dich bei der Klassen- oder Jahrgangsstufenleitung melden. Und mal ehrlich, du bist im Austausch mit anderen. Wenn alle anderen sagen, Frau Schröders Aufgabe sei locker machbar, nur du hast sie nicht ... dann solltest du dir vielleicht wirklich mal Rat holen. Ist aber auch bei anderen das Problem, dann meldet euch.

Ich denke aber, dass die allermeisten KollegInnen auf solche Anmerkungen eher dankbar denn wütend reagieren.

Es gibt auch noch einen anderen Fall

 

Ich war zu schnell fertig

Tja, das ist eine interessante Frage, wie du damit umgehst. Wenn du nur heute mal 10 Minuten früher fertig warst, prima. Du wirst die Zeit schon zu nutzen wissen.

Was aber, wenn du die Aufgaben schon alle gelöst hast? Und das immer schon nach 20 Minuten der Fall ist?

Auch hier gibt es verschiedene Herangehensweisen. Einmal kannst du die Zeit vielleicht dazu nutzen, dich in dem Fach sonst weiterzubilden. Schauen, was noch mit dem Thema zusammenhängt. Such dir eine passende Suchmaschine und beeindruck deine Lehrerin in der nächsten Stunde mit den Dingen, die du über das Thema noch herausgefunden hast. Du bist nicht in der Schule, du musst nicht herumsitzen.

Wenn das auf Dauer öfter passiert, kann auch wieder einmal der Fall sein, dass du einfach ein Überflieger bist. Dann kannst du die Lehrkraft vielleicht einfach um „Auffüller-Aufgaben“ bitten, damit du noch ein wenig mehr zu tun hast.

Im Ernst: Wenn das öfter passiert, melde das auch der Lehrkraft. Auch damit kann man sich verschätzen.

Übrigens: Es ist auch möglich, dass du zu knapp arbeitest. Legendär ist ein Schüler aus meiner Vergangenheit, der einen Aufsatz schreiben sollte, und dann als Arbeit ein paar Stichworte abgab und der festen Überzeugung war, die Aufgabe richtig gelöst zu haben. Sieh also zu, dass du Feedback bekommst, ob das, was du getan hast, wirklich dem entspricht, was die Lehrkraft sehen wollte!

 

Mein digitales Homeschooling-Office

Viele Schulen und Kommunen meinen, es sei besonders schlau, wenn von digitalen Endgeräten die Rede ist, an iPads zu denken. Oder an besonders tolle Laptops.

Dabei gibt es deutlich billigere Alternativen, mit denen man nicht eingeschränkt wird.

Was meine ich mit eingeschränkt?

Betrachten wir als Beispiel einen Autokauf.

Eine Warnung: Ich gehe jetzt von mir aus. Ich nehme jetzt ein sehr willkürliches Beispiel, und ich möchte keinesfalls, dass ich so verstanden werde als seien Leute blöd, die in Kufstein wohnen oder dorthin fahren. Aber mich zieht nichts dorthin, und ich nehme das nun auch nur als Beispiel, weil ich den Ort mit heimatverbundener Volksmusik assoziiere, mit der ich nichts anfangen kann. Vermutlich ist das unfair. Ich mache das nun trotzdem.

Okay, also: Angenommen, ich will mir einen Neuwagen kaufen. Ein topmodernes Auto, gerne auch ein E-Auto. Mir gefällt ein Modell auch wirklich gut. Und dann sagt der Verkäufer mir: „Ja, dieses Auto ist gut, der einzige Haken ist: Das Auto fährt nicht nach Kufstein.“

Huch, sind die Berge zu hoch? Nein! Wenn ich nachfrage, sagt der Verkäufer: „Dieses Auto kann nur an Orte fahren, die der Hersteller autorisiert hat. Der kann die Liste auch ändern, aber keine Sorge, derzeit kann man nur nicht nach Kufstein, sonst überall hin. Wenn Sie nicht nach Kufstein wollen, sind Sie nicht eingeschränkt. Wollen Sie dahin?“

Nein, will ich nicht, aber ich würde das Auto dennoch nicht kaufen. Weil ich nicht will, dass mir ein Hersteller sagt, was ich mit seinem Produkt zu tun habe.

Bei Computern bzw. anderen digitalen Endgeräten lassen wir das aber mit uns machen, wenn es bequemer ist.

IPads erlauben nicht, jede Software darauf zu installieren. IPads erlauben nur die Software, die Apple im App Store legalisiert hat. Um es klar zu sagen: Apple erlaubt, was man mit dem Gerät machen darf, und was nicht. Nicht der Anwender, der für das Gerät ja doch einen Haufen Geld hingelegt hat.

Das alleine ist für mich ein Grund, diese Geräte abzulehnen. Dass nun Steuergelder in Millionenhöhe für die Anschaffung dieser Geräte verwendet werden, macht mich immer noch traurig.

Aber gut, ich wollte ja billigere Alternativen aufzeigen.

 

Gebrauchtgeräte

Eine Möglichkeit ist die, sich z.B. einen gebrauchten Laptop zu kaufen. Laptops haben den Vorteil, dass sie heutzutage fast immer mit allem ausgestattet sind, was man für Videokonferenzen braucht. Sie haben fast immer eine Webcam und ein integriertes Mikrofon.

Gebraucht heißt bei Laptops überhaupt nicht „unbrauchbar“. Oft werden Geräte in Firmen nach einigen Jahren automatisch ersetzt. Dann sind sie noch gar nicht unbrauchbar, im Gegenteil. Manchmal braucht man eine neue Tastatur, aber die ist finanzierbar.

Es gibt einige Händler, die gebrauchte Laptops auch versenden. Brauchbare Geräte findet man schon ab 400 Euro. Auf Leistungsdaten muss man kaum achten, wenn es wirklich nur um Homeschooling geht.

Eine weitere Möglichkeit, die noch weniger Geld kostet, ist die Anschaffung eines einfachen Desktop-Computers. Macht man das auf Linux-Basis, braucht man nicht einmal ein Betriebssystem kaufen.

Ein einfaches Beispiel dafür ist ein Raspberry Pi, der einen vollwertigen Computer darstellt. So ein Gerät gibt es für 50 Euro, teilweise sogar darunter. Dazu benötigt man noch eine SD-Karte (64 GB gibt es für 15 Euro), eine Tastatur (15 Euro), eine Maus (5 Euro) und als vermutlich größten Punkt einen Monitor (ab 90 Euro). Hat man kein Handy-Ladegerät, braucht man noch ein solches mit Micro-USB zur Stromversorgung (unter 15 Euro) und dann entweder ein Netzwerkkabel, wenn man einen Ethernet-Anschluss hat, oder einen WLAN-Adapter (ab 6 Euro). Für Videokonferenzen benötigt man dann noch ein Headset (ab 20 Euro) und vielleicht eine Webcam (ab 30 Euro). Hat man wirklich noch nichts davon ohnehin im Haus, landet man bei unter 250 Euro, und wenn einem das Gerät dann irgendwann zu schwachbrüstig wird, muss man nur den Raspberry austauschen und hat den ganzen Rest schon besorgt.

Man benötigt allerdings bei der Einrichtung einen zweiten Rechner mit einem Kartenleser, um das Betriebssystem einzurichten, wobei man die auch vorbespielt kaufen kann (Stichwort NOOBS), und um die ein oder andere Anleitung nachzuschlagen. Dennoch ist es kein Hexenwerk, einen Raspberry Pi einzurichten, und es gibt eigentlich keine Anwendung außer sehr speziellen Programmen, die im Unterricht benutzt werden und die man damit nicht verwenden kann. Alle mir bekannten Lernmanagementsysteme haben Weboberflächen, so dass man mit einem Browser immer weiterkommt. Eine schnelle Recherche ergab, dass auch sämtliche mir bekannten Videokonferenztools (Zoom, Jitsi, Teams, BigBlueButton) damit funktionieren (da sie meist ohnehin eine Webbrowser-Variante haben, falls sie überhaupt einen eigenen Client besitzen).

Man kann also auch problemlos am Homeschooling teilnehmen und digital nicht abgehängt werden, ohne iPads zu verteilen. Man muss es nur wollen und tun. Und man braucht keinen Stift zur Eingabe, sondern kann viel schneller mit Tastatur und Maus arbeiten.

Mir ist völlig klar, dass es genug Familien gibt, wo auch 250 € eine Belastung darstellen, die nicht zu stemmen ist. Ich hoffe, dass die Regierung da bald Ernst macht und hier kostenlos Endgeräte zur Verfügung stellt. Ja, zur Not auch iPads. Zum Homeschooling reichen die meist aus, wobei sie leider für den Informatikunterricht weniger tauglich sind, da die Software BlueJ nicht darauf läuft (im Gegensatz zum erwähnten, günstigeren Raspberry, wo sie meist sogar vorinstalliert ist). Das betrifft aber eher die Oberstufe als die unteren Klassen.

 


Sozialkontakte aufrechterhalten

Wie schon erwähnt, hat Schule nicht nur die Funktion einer „Wissensvermittlung“, also dem Fachunterricht, auch wenn der in der öffentlichen Debatte im Vordergrund steht. Schule ist auch ein Sozialraum, der den Schüler*innen soziales Zusammenleben zeigt und ermöglicht. So ungern man das zugibt, der Streit im Klassenzimmer und das Rangeln auf dem Schulhof gehört zum Erwachsenwerden dazu. Und dieser Aspekt fehlt natürlich auch.

Was kann man also tun, um Sozialkontakte auch außerhalb der Familie zu ermöglichen?

 

Videokonferenzen unter Schüler*innen

Die Videokonferenz-Tools und die Hoheit über das Heimnetz sind oft dem Unterricht vorbehalten. In vielen Nutzungsvereinbarungen steht, man soll und darf sie nur zu „unterrichtlichen Zwecken“ verwenden.

Das sollte man ändern. Unbedingt.

Ja, Schüler*innen können im Netz Unfug machen, wenn man sie nicht überwacht. Das können sie aber auch, ohne dass wir ihnen dazu die Möglichkeit einräumen. Dann geschieht es über Handy und andere soziale Netzwerke. Und in der Schulplattform kann man sich zumindest sicher sein, dass sich normalerweise kein völlig Fremder da einloggen kann.

Und in der Schule können sie auch kommunizieren und nicht nur Dinge sagen, die bei Erwachsenen auf Wohlgefallen stoßen. Es finden sogar reale Schlägereien auf dem Schulhof statt, einem Gelände, das die Kommune für die Schule bezahlt[Fußnote 18]. Warum sollten wir ihnen also nicht die Möglichkeit geben, über die Schulplattform zu kommunizieren? Schlagen können sie sich dort jedenfalls nicht, und Drogen verteilen ist über eine reine Internetverbindung auch eher problematisch.

Natürlich muss auch hier aufgepasst werden, und (Cyber-)Mobbing ist eine reale Gefahr. Allerdings können die Schüler*innen hier eine unangenehme Unterhaltung einfach verlassen, indem sie die Anwendung schließen bzw. im Zweifel den Computer ausschalten. Wie immer ist es natürlich wichtig, dass Kinder mit solchen Problemen nicht allein gelassen werden und man diese rechtzeitig erkennt.

Übrigens kann man solche Videokonferenzen auch nutzen, um Online-Parties zu feiern. Das klingt nun albern und natürlich ist das kein Ersatz für eine richtige Feier. Aber einige der typischen Partyelemente kann auf die Konferenz übertragen. Und man hat den Vorteil, dass man nicht zusehen muss, wie man hinterher nach Hause kommt, sondern kann auch nach einer aufreibenden Feier einfach ins Bett sinken.

 

Online-Freizeitaktivitäten

Ich bin mir recht sicher, dass die meisten dazu genug Ideen haben, und wenn man sich mit anderen verabredet, fallen einem schnell Möglichkeiten ein, sich im Netz auch in der Freizeit und auch mit seinen üblichen Klassenkameraden zu treffen und Dinge zu unternehmen.

Ich selbst spiele meine üblichen Pen&Paper-Rollenspielrunden nun halt über Online-Plattformen, ein Hobby, das man also auch gut über das Netz ausüben kann. Webseiten wie Roll20[Fußnote 19] oder der Onlinedienst Discord liefern hier eine gute Infrastruktur. Zum Auffinden von Mitspielern, wenn man noch keine hat, kann man sich im Forum der Drachenzwinge[Fußnote 20] umschauen.

Auch gemeinsam die Welten eines Online-Spieles unsicher zu machen kann ein lohnenswertes Ziel sein. Spielt man gemeinsam ein Multi-User-Dungeon wie Morgengrauen[Fußnote 21], so kann man dabei auch noch seine Schreib- und Lesefähigkeiten trainieren.

Aber natürlich gibt es auch jede Menge Spiele mit ein wenig mehr Grafik im Netz, die man gemeinsam bereisen kann. Ob es der eigene Server bei Minecraft oder die gemeinsame Dinosaurierzucht bei Ark: Survival Evolved ist, Möglichkeiten gibt es viele, und es ist nicht die Intention des Buches, hier Werbung für bestimmte Spiele zu machen.

Und natürlich ist auch das klassische Brettspiel nicht zu verachten. Auch hier gibt es Seiten, wo man miteinander spielen kann. Hat man parallel eine Videokonferenz offen, kann man sich dabei auch gut unterhalten. Derartige Seiten findet man mit Google, beispielsweise Brettspielwelt[Fußnote 22] oder Tabletopia[Fußnote 23] (letztere ist auf Englisch. Das kann man dann auch noch gleich lernen).

 

Familienkontakte

Nun, das mag zunächst wie die albernste Tatsache überhaupt klingen. Wenn die Eltern im Homeoffice sind, hängt man ja eh den ganzen Tag aufeinander. Dann soll man auch noch zusammen Dinge unternehmen? Es ist ja wichtig, dass man mal andere sieht ...

Nein, tatsächlich: Man achte darauf, dass die Familie auch im Lockdown Zeit hat, Familie zu sein, gemeinsam Dinge zu tun und gemeinsam Sachen zu unternehmen. Auch, wenn alles zu hat, was man für viele der Freizeitaktivitäten benötigt, und man niemanden besuchen darf: Spazierengehen darf man noch, und niemand verbietet es, dass man sich abends gemeinsam hinsetzt und erzählt, spielt oder auch nur gemeinsam eine gute Netflix-Serie anschaut.

Ich empfehle hier My Little Pony: Freundschaft ist Magie. Mit Abstand die beste Serie, die seit Buffy produziert wurde.


Letzte Anmerkungen und Version

So, das war alles, was mir zum Thema „Homeschooling“ eingefallen ist. Vielleicht fällt mir noch mehr ein, dann erweitere ich dieses Buch noch. Vielleicht lohnt es sich also, ab und an nachzuschauen. Dieses Buch hier hat jedenfalls die Versionsnummer 1.0

Ebenso darf man gerne nicht meiner Meinung sein. Man darf alles banal finden. Wer mir seine Meinung schreiben möchte, mir sagen möchte, wo ich mich geirrt habe (und das werde ich!) oder mir Fehler melden möchte, schicke eine Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!. Danke schön!

Auch, wenn dieses Buch alles enthält, was das Thema „Homeschooling“ betrifft, ist es doch nicht alles, was ich zum Thema „Lockdown“ zu sagen hätte. Hier verweise ich auf das Buch von Jacqueline Stahl und mir, „Die Pandemie meistern. Corona und soziale Isolation – ein lebenspraktischer Ratgeber“, ISBN 978-3947158096, ebenfalls im Böser Drache Verlag erschienen. Als Ebook gibt es das Buch ebenfalls, nur nicht bei Amazon, aber als DRM-freies EPUB z.B. bei allen Tolino-Buchhandlungen.

 

Der Genderstern ...

Oh, hab ich einen vergessen? Man maile mir das! Das sollte ich korrigieren!

Oh, der nervt?

Tröste dich.

Dafür ist er da. Um dich zu nerven, damit du merkst, dass manche Dinge in der Gesellschaft einfach sein müssen, da sie nicht so selbstverständlich sind, wie sie sein sollten.


Lizenz und Weitergabe

Dieses Buch (nun ja, dieser Text) ist urheberrechtlich geschützt. Das wäre es auch, wenn ich das nicht hier stehen hätte.

Der Text darf aber frei weitergegeben und kopiert werden. Es untersteht der Creative Commons Lizenz 4.0, „Namensnennung“, CC BY. Man darf Teile dieses Buches kopieren, neu zusammenstellen und weitergeben. Einzige Voraussetzung ist, dass man die Quelle benennt.

Genaueres darüber sowie die Lizenz findet man hier: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/legalcode.de

Das Cover ist ein freies Bild von Pixabay

Das Verlagslogo darf natürlich mit dem Buch weitergegeben werden, steht aber sonst explizit nicht unter dieser Lizenz.

 

Böser Drache Verlag

Lerchenstraße 26

42555 Velbert

 

Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

https://www.boeser-drache.de

 

Dieses Buch wurde mit Papyrus Autor von R.O.M. Logicware geschrieben und überarbeitet.

[Fußnote 1] Doctorow, Cory: Think like a dandelion.
http://www.locusmag.com/Features/2008/05/cory-doctorow-think-like-dandelion.html

[Fußnote 2] Röhr, Frank und Stahl, Jacqueline: Die Pandemie meistern. Corona und soziale Isolation – ein lebenspraktischer Ratgeber. Böser Drache Verlag, Velbert, 2020

[Fußnote 3] Morgengrauen, Multi-User-Dungeon, auffindbar unter http://mg.mud.de

[Fußnote 4] Spyri, Johanna: Heidis Lehr- und Wanderjahre, 1880, Gotha

[Fußnote 5] Blyton, Enid: Five Go Adventuring Again, Hodder & Stroughton, UK, 1943

[Fußnote 6] Böhmermann, Jan: Homeschooling mit Herr Böhmermann, Video, https://www.youtube.com/watch?v=e1j5wu7wab8

[Fußnote 7] zum Beispiel hier: https://www.youtube.com/watch?v=5RxFIKQieWM

[Fußnote 8] an dieser Stelle lasse ich den Genderstern absichtlich weg. Nicht, weil ich schlechte Professorinnen gehabt hätte, sondern weil ich gar keine hatte. Das hat sich wohl auch geändert. Gut so. Immerhin hatte ich nach meinem Studium an der Uni Freiburg aber eine Professorin als Chefin. Bei ihr habe ich aber keine Vorlesungen selbst gehört, also bleibt die Aussage so.

[Fußnote 9] Und ja, ich weiß, dass meine eigenen Youtube-Videos, gerade die älteren, viel länger sind. Da wusste ich das auch noch nicht, und habe auch noch gar nicht an Flipped Classroom gedacht.

[Fußnote 10] www.flaci.com

[Fußnote 11] Einen Überblick über Hatties Ergebnisse aus den „Visible Learning“-Büchern findet man hier: https://visible-learning.org/de/hattie-rangliste-einflussgrößen-effekte-lernerfolg/,

[Fußnote 12] http://de.wikipedia.org

[Fußnote 13] Nein, die hatte ich bei meinen ersten Videos noch nicht, ebensowenig wie OBS. Das merkt man deutlich. Trotzdem haben einige genau dieser Videos fünfstellige Klickzahlen.

[Fußnote 14] https://de.wikipedia.org/wiki/Chronotyp

[Fußnote 15] https://www.heise.de/tp/features/Der-fruehe-Vogel-faengt-nicht-immer-den-Wurm-3437923.html

[Fußnote 16] Helen Parkhurst: Education On The Dalton Plan. New York : E. P. Dutton & Company, 1922

[Fußnote 17] Ich habe weder etwas gegen das Fach Kunst noch kenne ich eine Frau Schröder persönlich. Das Beispiel ist komplett fiktiv. Sollte eine Lehrkraft Schröder heißen, ist das nicht gegen sie gerchtet.

[Fußnote 18] Das ist keine Aussage, dass „Schlägerei“ der Normalfall an irgend einer Schule ist. Es wäre aber völlig überzogen, zu denken, dass es an irgend einer Schule in Deutschland keinerlei körperliche Auseinandersetzungen gibt.

[Fußnote 19] www.roll20.net

[Fußnote 20] www.Drachenzwinge.de

[Fußnote 21] http://mg.mud.de

[Fußnote 22] http://brettspielwelt.de

[Fußnote 23] http://tabletopia.com