Jahresendteaser: Am Schauspielhaus

"Entschuldigen Sie bitte, wo finde ich Paddy?"

Ich stand seit zwei Stunden auf dem Platz und fror mir die Eier ab. Zum Glück war noch genug Fiege auf dem Bollerwagen. Wir, das heißt, Marvin, Britta und ich, wollten einfach nur Silvester feiern. Sprich: Uns ordentlich einen ballern, das Feuerwerk am Schauspielhaus anschauen, dann zu Marvin in die Bude und da dreimal Dinner for One gucken.

Was man halt Silvester so machte. Und sprich, ich hatte schon ordentlich einen im Kahn - da kam dieser Kerl und fragte nach Paddy!

"Der ist sicher mit seiner Perle irgendwo", grummelte ich.

Der Kerl nickte, blieb aber stehen und sagte nichts.

Es dauerte einen Moment, bis ich schnallte, dass der Kerl bestimmt nicht den Paddy meinte, den ich kannte.

"Welchen Paddy meinst du eigentlich?", fragte ich.

"Ah, davon gibt es mehrere?"

Ich hatte bestimmt keinen schlauen Gesichtsausdruck drauf, dafür hatte ich echt schon zuviel von dem guten Bier meine Kehle passieren lassen, wenn ihr versteht, was ich meine, aber ich bin mir sicher, dass ich in dem Moment so richtig schlau geguckt habe. "Klar. Ganz viele."

"Ich ... äh, suche ... Paddy, den ... Nachfolger des Erbauers."

"Nach ... was? Welcher Erbauer?"

"Also kennen Sie diesen Paddy wohl eher nicht."

"Nein." Der Paddy, den ich kannte, hatte seit einiger Zeit einen Job als IT-Fachmann zum Aufbau einer Datenbank ... in einem ... Museum. Oder so. Ein Erbauer war das bestimmt nicht.

Und, seitdem er nicht mehr solo war, hatte er keine Zeit mehr. Auch heute zog er es vor, woanders zu sein. Sollte er. Der hatte ja keine Ahnung, was er verpasste! Dabei hatte der Abend doch erst angefangen, das Feuerwerk war erst in einer Stunde.

Der Kerl drehte sich um und ging langsam weg.

Komisch. Der hatte so Fellstiefel an, die waren doch eher was für Kinder ... oder Frauen. Aber vielleicht war der ja schwul. Hey, ich habe keine Probleme mit Schwulen. Und die Leute sollen ruhig Fellstiefel tragen! Kein Problem, alles gut. Wenn jemand meint, er habe ein drittes Geschlecht, dann ist das nicht mein Problem. Sondern seines. oder ihres, oder ... seins. Ach, was weiß ich denn. Muss ja auch echt kein Problem sein.

"Mike, komm mal her, das ist Conny, die musst du kennenlernen!", rief Britta quer über die Straße. "Vielleicht läuft da heute noch was bei dir!"

Okay. Britta war auch schon angedüdelt. Das schnallte ich in der Situation noch nicht richtig, hinterher fiel mir das halt auf. Alleine der Spruch sorgte natürlich schon dafür, dass da heute nacht gar nichts mehr lief.

Klar wurde mir das auch in dem Moment, als ich in das Gesicht von besagter Conny sah. Sie sah nichtmal schlecht aus, auch so grob Anfang 20, schätzte ich, rotblond, vielleicht ein wenig skandinavisch, den Vorfahren nach. Die Brüste vielleicht ein wenig kleiner, aber das war mir an sich auch egal.

Jedenfalls wurde mir nach kurzer Zeit klar, dass es nicht schlau war, auf die Brüste zu starren und darüber nachzudenken, ob die wohl ein wenig größer besser wären. Ich schaute ihr ins Gesicht. "Hi, ich bin Mike!", sagte ich. Wie schlau.

"Ich bin Conny."

Mehr sagte sie nicht. Und das Ganze klang frostig.

Na ja, war ja auch schweinekalt.

Mal ehrlich, wenn ich nicht noch eine ganze Ladung Fiege dagehabt hätte, wäre ich vielleicht auch einfach schon gegangen. Aber wir hatten uns hier einen der besten Plätze gesucht, hier am Schauspielhaus, wir hatten Bier, wir hatten uns. Mehr war nun echt nicht zu verlangen.

"Bald ist 2018 dann vorbei", sagte Marvin.

"Joah, war geil", sagte ich. "Viel Scheiß, aber auch viel Gutes."

"Was war denn gut?", fragte Conny.

"Öh ... das neue Amorphis-Album." Was für eine Antwort. Ich kam mir aber recht gewitzt vor.

"Aha."

Keine Ahnung, wie ich drauf kam. Mir kam nur diese uralte Idee, dass man Mädels damit beeindruckt, wenn man Musik macht. Musiker haben ja immer an jedem Finger zehn. Sagt man. Keine Ahnung, ob das stimmt. Ich bin kein Musiker.

Nein, ich kann auch nicht singen. Das hindert mich aber nicht daran, das zu tun.

Vor allem, wenn ich genug getrunken habe.

"The keeper of fleeting moment, She's the Golden Elk ..."

Ich bekam allen ernstes den kompletten Refrain hin! Dann sang ich auch noch die erste Strophe. Also gut, das gehörte natürlich andersrum, aber ich war mir sicher, dass Conny das nicht merkte.

Vor allem bemerkte ich aber, dass Conny das eher weniger interessierte. Das, was ich eben als Interesse gedeutet hatte, war wohl eher Desinteresse.

Okay.

Amorphis ist nun super-melodisch, ferner wird der goldene Elch ja auch nicht gegrowlt.

Dann begannen in meinem Hirn die Zahnräder zu laufen.

Offenbar war das Stück nicht gut geeignet, um diese Frau zu beeindrucken.

Und ich kannte die ja auch gar nicht, aber ich dachte mir, wo die schonmal da steht, kann ich ja mit meinen Qualitäten glänzen.

Und Amorphis taugte dafür offenbar nicht.

Nun ja. Wenn Klargesang nicht half, dachte die bestimmt, dass ich das nur wegen ihr singe. Und, das ist eine alte Weisheit, Frauen dürfen ja nicht merken, dass Männer auf sie stehen. Ist ja klar, dann wollen die nix mehr von einem. Also musste ich ihr klarmachen, dass ich nur wegen mir singe. Nicht wegen Ihr. Dann würde sie das bemerken, dass ich das nicht wegen ihr tue, und dann würde sie sich auf mich stürzen, weil ich so interessant und unabhängig bin.

Als ich das später noch einmal durchdachte, ohne eine entsprechende Zahl an Fiege hinter mir zu haben, nun ja ... also, mir wurde die Argumentation schon ein wenig unklarer. Aber in dem Moment war sie völlig klar.

"War ja noch mehr gut, so in 2018", sagte ich also. "Das neue Nothgard-Album ist auch ein Hammer."

Und klar, auch nach so einigen Fiege: "Malady X", das Titelstück, das kriege ich immer noch auf die Reihe.

"This is the world we're living in, right before the abyss, Malady superabounds ..."

Ich war mir in dem Moment sicher, ich klang wie Dom R. Crey himself. Im Nachhinein betrachtet war das vermutlich nicht ganz so der Fall.

"Kann ... kann ich das noch einmal hören?"

Nein, das war nicht Conny. Das war Mister Fellstiefel. Der hatte seinen Paddy immer noch nicht gefunden. Offenbar, jedenfalls war da keiner.

"Öh, wie bitte?", fragte ich.

"Jetzt animier den doch nicht noch", stöhnte Conny.

Marvin war der einzige, der noch einigermaßen nüchtern war, da der eben erst angefangen hatte, mitzutrinken. "Hey, wir machen hier keine Freakshow für dich, wer auch immer du bist ..."

"Ich heiße Rodiar", sagte der Fellstiefel-Mann. "Ich würde das wirklich gerne noch einmal hören."

Das Ganze kam mir nun auch merkwürdig vor, aber nicht so merkwürdig, dass ich das nicht noch einmal tun würde. Lauthals gab ich eine weitere Nothgard-Interpretation zum Besten.

"Danke", sagte der komische Typ danach. Wir hatten mittlerweile ein wenig mehr Platz, da einige Leute zur Seite getreten waren. Zugegeben, mir dämmerte schon in dem Moment, dass ich nicht unbedingt ein Publikumsmagnet war. "Dann brauche ich Paddy heute nicht."

Er drehte sich um und ging von Dannen.

"He, wo willst du hin?", fragte ich ihn noch. "Ich kann noch mehr ... Arch Enemy?"

"Kenne ich schon."

"Iron Maiden?"

"Auch."

"Okay ... äh ... wo willst du hin?"

"Zum Rathaus."

"Was willst du denn da?"

"Nach Hause."

"Das schaffst du nicht mehr bis zum Feuerwerk."

"Warum gibt es denn ein Feuerwerk?"

"Bist du bescheuert? Weil Silvester ist? Neujahr?"

Er blieb kurz stehen, drehte sich um, dann zuckte er mit dem Achseln. "So viel Bedeutung hat das für mich nicht."

Dann war er in der Menge verschwunden.

Nun ja, ich zuckte mit den Achseln, nahm mein nächstes Bier und genoss den Abend.

Überflüssig zu erwähnen: Natürlich hat mit Conny nix mehr geklappt. Aber irgendwie war das schon eine sehr seltsame Begegnung.

Ich werds Paddy bei Gelegenheit mal erzählen. Vielleicht hat der ja eine Idee, was der komische Typ wollte.

.....

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Der Böse Drache wünscht einen schönen und erholsamen Übergang!